Wie man andere akzeptiert, wie sie sind - in 5 Schritten

by - Juni 29, 2017

1. Toleranz

Eine gute Gelegenheit zu erkennen, was Toleranz wirklich ist, entsteht wenn man eine wirklich schwierige, mühsame Beziehung durchstehen muss. Wenn man das lange genug erträgt gehen einem irgendwann die Augen auf, und man erkennt, dass echte Toleranz mehr ist als ein bloßes Ertragen oder Dulden. Sie muss in erster Linie mal bei uns selbst anfangen, beim Hinterfragen von eigenen Selbstbildern und Illusionen, die man sich über die Jahre über sich selbst aufgebaut hat. Man sieht sich oft nur als die berechenbare, hilfreiche und edle Person, die man gerne wäre, schaut aber nur selten den eigene Unsicherheiten,  Ausflüchten und Widersprüchen ins Auge.

Außer der wachsenden Toleranz hat das Blicken in die eigenen Abgründe noch einen weiteren Vorteil. Man hört auf, sich als besser oder schlechter als andere zu empfinden. Und vor allem betrachtet man sich irgendwann nicht mehr so sehr getrennt voneinander. Denn nicht selten spricht genau das, was wir an anderen ablehnen, Bände über unser eigenes Selbst. "Lieblingsfeinde", Menschen, die unseren Schatten verkörpern, verkörpern das was wir in uns selbst verurteilen. Oft sind das Mitmenschen, die uns eigentlich gar nichts getan haben, die uns aber dennoch unverhältnismässig aufregen. Das sind nicht selten wir selbst.

Daher ist es wichtig, sich sein eigenes Inneres bewusst zu machen. Erst dann kann man auch toleranter gegenüber anderen werden. Je intoleranter jemand ist, desto mehr benötigt er den Feind von außen, auf den die eigenen destruktiven Emotionen projiziert werden. Und auch wenn es sicher Menschen gibt, die von Natur aus toleranter sind als andere, glaube ich dass jeder es doch erst lernen muss und dass sich echte Toleranz erst mit steigender Lebenserfahrung entwickelt. Denn sie verlangt unmittelbar das Loslassen von bestimmten Sehnsüchten und Träumen - darunter auch dem Wunsch, etwas "besonderes" zu sein, oder anders als andere. Man braucht die Erkenntnis, dass wir einander viel mehr ähnlich sind als unähnlich, auch wenn wir uns als etwas so Besonderes empfinden.



2. Großzügigkeit

Wenn man von diesem Ross herabgestiegen ist, dann fällt einem z.B. auch viel leichter, anderen gegenüber großzügig zu sein. Nicht nur was Dinge angeht - das kann auch einfach eine Umarmung im größten Streit sein, ein Versöhnungsangebot obwohl man im Recht ist, eine kleine Aufmerksamkeit aus dem Nichts ...

Großzügigkeit entsteht dann, wenn man fähig ist zu geben, ohne sich reduziert zu fühlen. Wenn wir uns anderen zuwenden können, ohne zu klammern, oder Zuwendung annehmen können, ohne sie als Vereinnahmung zu empfinden. Wenn wir präsent sind, einfühlsam und aufmerksam anderen gegenüber. Wenn wir für andere da sind mit offenem Herzen und offenen Händen. Wenn unsere Gesten weder Belohnung noch Dank erwarten.

Wie auch Toleranz ist die Grundbasis an Großzügigkeit eher ungleich verteilt. Aber Gesten der Zuwendung kann man erlernen und trainieren, ganz einfach indem man sich einfühlt in andere und zumindest ab und zu den Willen zeigt, sich selbst hinten anzustellen. Es lohnt sich wirklich - schnell merkt man, dass ehrliche Hingabe das Leben erst lebenswert macht. Es ist ein befreiender Ausbruch aus dem Gefängnis der Einsamkeit, wenn wir erkennen, dass wir dort, wo unser Geben gebraucht wird, nicht weniger haben werden.

3. Toleranz + Großzügigkeit

Toleranz und Großzügigkeit in Kombination ergeben eine unglaublich wichtige Fähigkeit: Andere Menschen so zu lassen, wie sie sind. Die Bereitschaft, anderen ihre Fremdheit zu lassen, sie nicht beherrschen zu wollen oder zu bevormunden. Dazu braucht es nicht nur Toleranz und Großzügigkeit, sondern auch Offenheit, innere Weite und Versöhnlichkeit. Gerade in engen Beziehungen fällt das manchmal sehr schwer, da der Alltag den Glücksrausch irgendwann auf ein Minimum reduziert. Da gibt es nicht erwiderte Sehnsüchte nach absoluter Geborgenheit, Panik oder Angst vor Selbstaufgabe, die Desillusionierung von Idealbildern ... und letztendlich auch fast immer irgendwie den Wunsch, den anderen doch noch ändern oder nacherziehen zu können. Das kann nur zu Leid führen, denn der andere wird immer fremd und andersartig bleiben.

Ab in die Tonne also mit Erziehungswünschen, Erfolgserwartungen und Besserwisserei - die den anderen so oder so nicht erreichen. Schöne Begegnungen, echte Freundschaften oder gar Liebe sind doch viel zu kostbar, um sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen, nur weil der andere sich unseren Idealbildern nicht anpasst.



4. Verletzungen loslassen

Der sicherlich schwerste Teil ist allerdings, Abschied zu nehmen von alten Kränkungen, Verletzungen und Angriffen. Aber wenn wir das nicht loslassen ersticken wir auf Dauer an den negativen Gefühlen und werden täglich von ihnen niedergedrückt. Wir verpesten unsere Seele mit Groll und Nachtragen, statt dass wir unseren Wunden die Zeit geben, in Frieden zu heilen. Die Resultate: Scheidungen, Trennungen, tödliches Schweigen und Kontaktabbrüche.  Wir führen vor dem Schlafengehen imaginäre Dialoge mit Streitpartnern, lassen das Wiedersehen nach langer Zeit überschattet werden von unerledigten Konflikten und plötzlich werden alte, offene Rechnungen herausgekramt und zum Hauptgesprächsstoff.

Ein hilfreicher Tipp ist auch hier, den Blick aufs eigene Innere statt auf den anderen zu lenken. Nicht mehr zu fragen "Wie konnte er das tun?", sondern "Wie konnte diese Erfahrung so sehr bei mir andocken?" Einfach mal erforschen, wo der eigene Anteil ist. Durch diese Selbsterkundung wird man auch nicht länger das hilflos Opfer, das immer nur andere als Täter verurteilt. Dann erkennen wir, dass jeder "Täter" nicht nur Täter ist, genauso wie wir selbst nicht nur Opfer sind. Dadurch hören wir auf, andere unverhältnismässig lange zu verurteilen.

Das ist nicht gleichzusetzen mit Vergessen oder Verdrängen - oder plötzlich das Unrecht gutzuheißen. Es bedeutet sich selbst zu verstehen wie man ist, nicht wie man sein sollte. Diese Versöhnlichkeit mit sich selbst bringt auch automatisch Versöhnlichkeit mit anderen. Will man den Schatten von anderen gelassen gegenüber treten, muss man das erstmal mit den eigenen schaffen.



5. Wenn alles nichts hilft

Manchmal helfen alle guten Bemühungen nichts, und der letzte Ausweg ist, die Zelte abzubrechen. Dass es nicht leicht ist, sich von einem Partner zu verabschieden, wissen die meisten von uns. Richtig schwierig wird es aber dann, wenn man einfach nicht fähig dazu ist, obwohl die Beziehung schon lange nicht mehr tragfähig ist. Man hindert sich den und den anderen am Neuanfang, indem man sich nicht loslässt. Man trennt sich zwar vielleicht, aber verdrängt den Abschiedsschmerz. "Lass uns Freunde bleiben", "ich bin trotzdem immer für dich da", "wir haben uns im Guten getrennt". 

Das alles soll es uns leichter machen, ist aber paradoxerweise erst die Vorstufe von häufig kriegerischen Auseinandersetzungen und giftigen Wortgefechten, in denen man sich die Zähne zeigt und sich die Seele noch weiter zerfetzt. Der Traum vom versöhnlichen Ende ist ein trügerischer. Instinktiv wissen wir, dass es besser ist, Abschied zu nehmen und gesund zu werden, aber wir schaffen es oft nicht. Manchmal liegt es auch daran, dass man den Abschied nur da nehmen kann, wo der auf der anderen Seite gegeben wird. Wenn eine Seite sich querstellt funktioniert es nicht. 

Der einzige Weg ist hier den Menschen, den man verabschiedet, im Herzen als Freund zu behalten, und bereichert eine neue Richtung einzuschlagen. 

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