Loslassen - was hilft

by - Mai 23, 2017

Loslassen....

... schafft Freiheit und Raum für Veränderung. Und wenn es nur ein winzig kleiner Ausbruch aus einer Routine ist - man merkt wieder, dass man selbst die Wahl hat, wie man sein Leben gestaltet. Aber Veränderung macht auch immer Angst, weil das Neue ungewohnt ist, und man eigentlich lieber alles beim Alten lassen würde. Aber ahnen tun wir es irgendwie alle, dass es uns weiterbringt wenn wir die Kraft haben, etwas aufzugeben. "Loszulassen." Ich habe in den letzten Jahren vieles losgelassen - Menschen, schlechte Laune, Gewohnheiten, Schmerzen. Und ich verspreche euch - mit ausreichend Übung und Geduld wird es immer einfacher.

Lappalien


Dass uns Neues so aus der Bahn bringt liegt daran, dass heute immer alles "schnell" und am besten "sofort" passieren soll. Wir haben Geschwindigkeit zu einer Tugend erklärt. Ihr kennt das, einer dieser Tage. Festplatte abgestürzt. Zug verpasst. Kaffee leer. Einkaufszettel verlegt. Pizzeria Ruhetag. Das Leben wie es sein soll.

Da muss man sich doch fragen, weshalb diese Nichtigkeiten uns so beeindrucken? Wie kleine Gewitterwolken in der Stimmung verdichten sie sich irgendwann zu einem Unwetter und machen uns bewusst, wie begrenzt unser gezieltes Planen, Kontrollieren und Handeln ist. Wieviele Möglichkeiten die Realität hat, um uns aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wieso können wir solche Dinge nicht einfach so nehmen wie sie sind? Und ist es uns möglich, wenn wir das Loslassen im so kleinen Rahmen üben, es auch bei größeren Dingen schaffen?

Wenn man aufhört zu kämpfen ist man frei. Im Aikido lernt man, dass das eigene Handeln umso wirkungsvoller ist, je weniger Widerstand man leistet. Gilt das auch für die Leiden des Alltags?

Ja, tut es! Ich habs ausprobiert. In dem Moment, wo man die Entscheidung fällt, keine unnötigen Energien mehr durch Widerstand zu verschwenden, kommt man erstaunlicherweise zur Ruhe. So unlogisch das klingt, aber indem wir dem Hindernis Raum geben befreien wir uns davon. Statt uns an etwas festzukrallen sehen wir das was gerade ist, und damit auch die Möglichkeiten, die wir zur Wahl haben.

Das hat nichts damit zu tun Probleme zu ignorieren oder ihnen nachzugeben. Es geht darum sie klar zu sehen, sie als vorübergehende Erscheinungen zu akzeptieren und sich zu zentrieren. Indem man sich ohne gedankliche Störenfriede auf den Moment konzentriert, wird man ganz automatisch effizienter, langsamer und genauer.

Diese Art von Gelassenheit ist allerdings nicht zu verwechseln mit  einer lebensfeindlichen Resignation, die keinen Protest und keine Rebellion mehr zulässt. Zu resignieren bedeutet jede Begeisterung im Keim zu ersticken, und nicht mehr offen für den Reichtum des Lebens zu sein. Loszulassen bedeutet zwar auf Abstand zu gehen, aber nicht gefühllos.  Man nimmt weder Opferrolle noch Siegerpose ein. Loslassen bedeutet nicht, immer wieder jemanden zu suchen der einem Recht gibt oder immer wieder neue Lösungen für alte Probleme zu suchen.

Menschen


Auch wenn wir von anderen fordern, sie sollten loslassen, müssen wir bedenken, dass Loslassen seine ganz eigene Würde hat und niemals Mittel zum Zweck sein darf, mit dessen Hilfe Konflikte übertüncht und vergessen werden sollen. Wenn wir das also von jemandem fordern müssen wir zuerst erkennen dass auch dieser jemand genauso wie wir unvermeidlich leidet. Für manche ist das selbstverständlich, für andere bedarf es erst einiger wachrüttelnder Erfahrungen um das zu erkennen. Die Erkenntnis zum Loslassen lässt sich nicht erzwingen, und schon gar nicht durch "gut zureden" oder "sich zusammenreissen".

Loslassen bedeutet also, den Ballast der Vergangenheit zurückzulassen, Sachen geschlossen zu Ende zu bringen, nicht mehr an Meinungen oder Vorstellungen festzuhalten, die unseren inneren Frieden vergiften und uns die letzten Reserven kosten. Wir wollen immer alles kontrollieren statt es sein zu lassen was es ist, was lediglich ein Beweis für unsere Verhärtung, unsere Angst und unsägliches Misstrauen ist.

Problematische Ereignisse 


Aber so richtig verstehen was Loslassen bedeutet kann man vielleicht erst, wenn man an der Grenze dessen ist, was man aushalten oder ertragen kann. Grenzerfahrungen, Schicksalsschläge, Erschütterungen ... in solchen Momenten kann Loslassen wie ein Wunder sein.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Loslassen üben muss. Wie ein Muskel, der erschlafft wenn er nicht trainiert wird. Es erfordert Selbstdisziplin und Erkenntnis. Man muss JA sagen zu dem Leben was ist, und nicht seiner eigenen Vorstellung davon. Aber ja, man kann sich das bewusst aneignen. Man darf sich nicht versteifen, sondern muss auch bereit sein von etwas abzulassen, wenn einen das Leben in eine andere Richtung als geplant führen will.

Das Ding ist ja ... die normale Reaktion des Menschen auf ein Problem ist dagegen anzukämpfen. Sind die Bemühungen erfolglos legen wir noch ne Schippe drauf und strengen uns noch mehr an. Kämpfen und suchen krampfhaft nach Lösungen.Aber zweimal so viel ist halt nicht doppelt so gut. So oft ist es besser "mit dem Problem zu gehen" statt sich dagegen zu wehren, wie beim Autofahren wenn man die Räder auf Schleuderkurs bringt statt dagegen zu lenken. Statt "fight and flight" lieber einen Schritt zur Seite tun.

Idealbilder 


Wir muten uns viel zu viel zu. Wir sind an dem Punkt, an dem wir lieber scheitern als zuzugeben, dass die Lasten, die wir uns aufgeladen haben, zu schwer waren. Statt 3 Kilo abnehmen müssen es 20 sein. Statt sanftes Stillen des Bewegungsbedürfnisses das tägliche, lieblose Training auf Foltergeräten. Da gibt es plötzlich keine Schokolade mehr, keinen Kaffee. Man will idealer sein, als man ist, und findet sich im nächsten Teufelskreis der Selbstkontrolle und des Versagens. So gibt es zwar immer mehr Fitnesszentren und Gastronomiebetriebe. Aber wo sind die Kinder die gern im Wald spazierengehen? Die gern einfache und gesunde Sachen essen? Die Bewegung nicht erzwingen sondern erleben?

Der Grund dafür ist die uns eingetrichterte Annahme, bei richtigem Einsatz und Willensstärke könnten wir praktisch jedes beliebige Selbstbild und jedes gewünschte Perfektionsideal erreichen. Eine kollektive Überheblichkeit hat sich eingeschlichen.

Diese wird man nur dann los, wenn man weiss was man selbst will. Klingt einfach, ist aber alles andere als das. Oft meinen wir wir müssten wollen, was wir wollen SOLLEN. Wenn wir uns dessen bewusst werden müssen wir uns auch eingestehen, dass jeder von uns so gut handelt, wie es ihm tatsächlich und unter Berücksichtigung seiner Umstände möglich ist. Man kann viel mehr erreichen, wenn man sich von diesen hoch gesteckten Idealen löst und sich stattdessen mit der Wirklichkeit des Lebens anfreundet. Natürlich lösen sich Probleme so nicht in Luft auf, aber wir werden allem zum Trotz zufriedener und toleranter mit uns selbst.

Schlechte Laune und Unzufriedenheit


Überlegt mal selbst, jeder hat das schon erlebt. Auf lange Sicht ist es erfolgreicher, wenn man etwas einfaches tut, etwas das man gerne macht, als etwas dass jemand anders vorgeschlagen hat. Das ist schonmal ein erster Schritt. Der nächste besteht darin zu beobachten, wie wir mit schlechter Laune umgehen. Wir schenken ihr so unglaublich viel Beachtung, schützen und verteidigen sie um jeden Preis. Dabei werden wir taub und blind gegenüber der Fülle des Lebens und der Wirklichkeit. Wir vergiften unser Herz und entstellen uns durch unsere eigene Befangenheit.

Prinzipiell haben wir bei schlechter Laune 3 Möglichkeiten zum Loslassen:

1. Annehmen was IST  (keinen Widerstand leisten, nicht versuchen gegen sie anzukämpfen)
2. Tempo hochfahren (Aktiv den Entschluss fassen sie loszulassen, z.B. aufstehen, bewusst und tief atmen, einmal um den Block laufen)
3. Tempo runterfahren (innehalten, umschalten, z.B. jemanden anrufen, sich aussprechen, sich einen besonderen Tee machen, spazieren gehen, Projekte auf den nächsten Tag verschieben wenn man konzentrierter ist etc.)

Manchmal reicht es schon sich einfach hinzusetzen und im Geiste das Wörtchen "Genug." zu wiederholen. Wenn wir uns daran erinnern, dass es genügt was wir im Moment sind, haben oder wissen, speisen wir ein Gefühl der Zufriedenheit und erklären uns einverstanden mit dem Leben wie es ist. Dazu gehört auch Abschied zu nehmen von überhöhten Phantasien und großen Ansprüchen, weil man Situationen dann anders bewertet. Wenn man sich eingesteht, dass die Dinge auch nicht besser wären wenn man dies und jenes noch besitzen oder erreichen würde, oder wenn man woanders wäre als man es gerade ist - dann hat man losgelassen.

Unser Problem ist, dass wir uns selbst und die Welt immer durch einen Filter sehen. Einen Filter an Vorstellungen, Wünschen, Idealen und Erwartungen. Dadurch beschwören wir Verurteilungen, Entwertungen und Ängste herauf. Erst wenn man diesen Filter ablegt verliert man plötzlich das Bedürfnis nach permanenter Auseinandersetzung und Konfrontation. Der Zwang zum Siegen lässt nach, man wird frei. Man kann vorbehaltlos das annehmen, was das Leben gerade freiwillig anbietet, versucht nicht mehr krampfhaft bestimmte Ereignisse herbeizuführen, und wird demnach auch weniger oft enttäuscht. Ist ja auch logisch - man müsste ja gar nicht erst unzufrieden sein mit dem was man hat, hätte man sich nicht von vornherein schon darauf fixiert was man sucht.

Gewohnheiten


Eine Sache für sich ist auch das Loslassen von destruktiven Gewohnheiten. Meistens wissen wir ja ganz genau was wir sein lassen sollten. Jeder kennt diese innere Stimme die einem ins Ohr flüstert "Tus nicht."  Ein Bier zuviel ... die nächste Zigarette ... Naschen aus Langeweile ... Ich habe gerade die Erkenntnis dass man mit steigender Lebenserfahrung scheinbar immer weniger ignorieren kann, was einem gut tut und was einem schadet. Aber dennoch halten wir stetig an Mustern fest, machen immer wieder dieselben Fehler weil wir die Stimme nicht hören wollen. Da muss man schon ernsthaft die Freiheit des Menschen infrage stellen wenn man bedenkt wie oft wir vor unseren Schwächen kapitulieren und wie selten wir wirklich im eigenen Interesse handeln.

Ein bisschen braucht man das ja - so ein Gewohnheitstier zu sein. Das Leben wäre viel zu mühsam wenn man immer alles neu entscheide müsste. Gefährlich wird es aber dann, wenn diese Erfahrungen uns beherrschen. Bei mir hat es sich bewährt, mich immer zunächst zu fragen, weshalb ich die Gewohnheit loslassen will. Welche Qualitäten gewinne ich dadurch? Also mehr Zeit, Gesundheit, besseres Körpergefühl etc. etc.? Dieses ewige krampfhafte Bewerten und Analysieren der Gewohnheit selbst bringt nur sehr selten was. Stattdessen müssen wir unser eigenes Wesen unter diesen Schichten von Gewohnheiten aufspüren. Dadurch erhält das, was uns gut tut, neue Qualität und wird nicht mehr als Verzicht oder Entsagung empfunden.

Schmerzen

Man kann es tatsächlich trainieren, die Entscheidung Schmerzen anzunehmen. Es braucht Geduld und Selbstvertrauen, aber irgendwann kann man seinem Schmerz freundlich gegenübertreten. Man darf ihn nicht mehr loswerden wollen, sondern muss sich ihm öffnen. Wer den Schmerz als Gegner sieht der hört nicht mehr hin, und kann auch keine Botschaften mehr empfangen. Viele innere Kämpfe entstehen nur dadurch, dass wir durch Widerstand das abwehren wollen, was sich in unserem Leben zuträgt oder getragen hat. Wenn wir aufhören, Bedingungen zu stellen, machen wir uns offen für Dankbarkeit. Das kann man immer und überall üben. Dabei spürt man direkt wie sich der ganze Körper entspannt. Der Herzschlag, die Muskeln, das Energiepotential verwandeln sich. 

Wenn man das nicht hinbekommt gibt es immer noch eine andere Lösung. Nämlich dem Schmerz einfach zu sagen "Ich verstehe dich nicht." Nur diesen Satz. Keine Frage daraus machen, keine Wertung und kein Urteil sprechen. Immer wieder gedanklich sagen "Ich verstehe dich nicht." Denn wenn man etwas nicht versteht, hat man gar keine andere Wahl mehr als anzunehmen was ist und den Weg zur Versöhnlichkeit zu ebnen. Wenn man sich ewig dieselben Fragen zum Warum und Weshalb stellt wird sich nichts ändern, ausser dass das Denken immer enger wird.  

Verluste


Keinem bleiben unangenehme Überraschungen erspart. Und auch wenn wir nicht darauf vorbereitet sind, können wir uns aus der Opferrolle befreien und uns eingestehen, dass auch die schwierigsten Situationen bis zu einem gewissen Grad entschärfbar sind. Solange wir atmen können wir Verlusten nicht entkommen. Wenn es dann soweit ist, können wir es immer nicht fassen, dass unsere Welt kurz zuvor noch ganz anders war. Wir versuchen verzweifelt die Zeiger der Zeit zurückzudrehen, etwas ungeschehen zu machen, obwohl wir bereits wissen, dass es aussichtslos ist.

Der Schlüssel hierbei war für mich, mich von den tief verwurzelten Wünschen und Erwartungen nach Gerechtigkeit zu befreien, und nicht mehr länger auf das Verlangen meines Egos zu hören. Und wenn mein Tag noch so frustrierend und verlustreich war, wenn mir mein Leben nicht mehr lebenswert erscheint, und ich absolut nicht mehr in der Lage bin, die Kostbarkeiten zu sehen - dann bleibt mir immer noch eines: Den Tag einem anderen Menschen zu schenken, der ihn gebrauchen könnte.


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